Der Shorty 4 – zu Kathrin Rögglas "die beteiligten"
Aus dem Leben der Skandalparasiten
von Anne Peter
24. Mai 2010. Huhu, Medienkritik!, rufen die aufgehängten TV-Monitore, von denen gleich fünf Möchtegern-Augenzeugen herabtratschen werden. Sie bespiegeln, befragen, betätscheln, beraten, bewundern oder bedrängen verbal das anonyme Opfer eines Entführungsfalls, das nach langer Gefangenschaft den Weg zurück ins soziale Leben sucht. Und leider ist das soziale Leben in diesem Fall sogleich auch ein öffentliches, medial reflektiertes.
Man ist versucht zu sagen, hier werde ein raffiniertes Spiel mit diesem Blick der Medien getrieben. Ein Blick, der in fünffacher Ausführung von den Fernsehschirmen direkt auf unsere Zuschaueraugen trifft. Inmitten der TV-Wand sitzt, an Stelle eines sechsten Schirms, eine Schauspielerin. Deren leibliche Präsenz zeigt sich jedoch gleichfalls auf das Medium ausgerichtet. Ihr Blick zielt nicht ins Publikum, das gemeinsam mit ihr in eine kleine Black Box mit etwa 20 Plätzen gesperrt ist. Vielmehr fixiert sie ein Kameraauge, das ihr Gesicht in alle anderen fünf Boxen weiterleitet, auf die die Zuschauer in Stephan Rottkamps Düsseldorfer Inszenierung verteilt sind. Während also die Gesichter in der Glotze ob des direkten Blicks unverstellt wirken, wirkt die Live-Verfertigung dieses Blicks gekünstelt-kalkuliert.
Doch diese spezifische Blick-Situation ist nach etwa 15 Minuten auserzählt und hat mit Medienkritik im Grunde wenig zu tun. Die Bildschirme geben über Rolle und Strategie von Massenmedien in Entführungsfällen kaum etwas preis, sondern verweisen vornehmlich auf die Tatsache, dass hier nachgeplappert wird, was im Fernsehformat vorgeplappert wurde. Und für dieses Nachgeplapper von Inhalten, die uns allen in dieser oder ähnlicher Form schon durchs Medienkonsumentenhirn gerauscht sind, findet Kathrin Röggla zwar eine bestechend treffende Form. Es ist ein grammatikalisch vertrackter Modus der Indirektheit, in dem die Zaungäste und Skandalparasiten in "die beteiligten" zur Sprache kommen. Die Bildschirm-Gesichter sprechen im mutmaßungsaffinen Konjunktiv und in der Er-/Sie-Form über sich selbst, während das "Ich" die Perspektive der abwesenden Zentralfigur markiert.
In den glatt klischierten Voyeursvisagen, die als die eigentlichen Adressaten der Röggla'schen Kritik gelten dürfen, lässt sich allerdings kaum ein Haken finden, der zu nachhaltiger Zuschauer-Selbstbefragung taugte. So verliert auch dieses konjunktivische Setting – trotz einer Dramaturgie von Crescendo-artig ansteigender Aggressionskurve, mittigem Stimmungsumschwung und gen Parallelfälle wegplätscherndem Interesse – nach kurzer Berieselungszeit seine verwirrende Sogkraft. Das trägt über eine Tagesschaulänge, kaum über neunzig Minuten.
Hier lesen Sie die Nachtkritik und Kritikenrundschau zur Uraufführung in Düsseldorf. Den Text von Kathrin Röggla hat Esther Boldt in ihrem Stückporträt näher unter die Lupe genommen. Und hier berichten wir vom Publikumsgespräch.
Leider traf sie auch nicht mein Interesse oder meine Emotionen.
Die Inszenierung war ganz interessant - aber der Inhalt!!!!!!!!!