Sieben Fragen an ...
Till Briegleb
Till Briegleb, Hamburg
Geboren 1962 in München. Studium der Politik und Germanistik in Hamburg. Ab 1991 Kulturredakteur der Tageszeitung (taz) in Hamburg. 1997 bis 2002 Kulturredakteur der Wochenzeitung "Die Woche". Autor der Süddeutschen Zeitung und von "art". 2002–2005 Juror des Berliner Theatertreffens. Buchpublikation "Die diskrete Scham" (Insel, 2009).
1. Nis-Momme Stockmanns Protagonist attackiert den Theaterbetrieb: überall sei "Terror, Islam, Nazis, Terror", sprich "Bedeutsamkeit! Bedeutsamkeit!" gefordert. Es fehle am Gespür für das Gewöhnliche. Inwieweit stimmt seine Diagnose des Betriebs?
Stockmanns Beschreibung ist zwar satirischer Natur, aber das ist ja nur lustig, wenn es Wahrheit enthält. Der Versuch, nicht selbst Erlebtes kinomäßig aufzublasen, ist jedenfalls bei vielen Autoren vorhanden. Allerdings halte ich das weniger für eine konkrete Forderung von Dramaturgen und Intendanten als für eine Vorstellung junger Autoren, was am Theater so richtig kesseln müsste. Und so beschreibt es auch Stockmann sehr richtig: als fehlgeleitete Antizipation von Publikums- und Theaterwünschen.
2. Kathrin Rögglas "Die Beteiligten" seziert die Wirkungsweisen der Massenmedien anlässlich des Falles "Natascha Kampusch". Was macht den Transport dieses Stoffes ins alte Medium Theater spannend?
Dass die mediale Distanz, in der man so unglaublich viel verstecken und vertuschen kann, durch die Präsenz der Schauspieler wieder aufgehoben ist. Und damit wird es deutlich wahrhaftiger.
3. Elfriede Jelineks Geldmarktstück "Kontrakte des Kaufmanns" wird seit seiner Uraufführung im April 2009 als Text der Stunde gefeiert. Wieso ist es das einzige Stück zur Finanzkrise auf dem Tableau der diesjährigen Mülheimer Theatertage?
Weil es schon eine außerordentliche Intelligenz vom Kaliber einer Elfriede Jelinek braucht, um dieses Thema nicht zu vergurken. Wie bei allen Themen, die sich auf unmittelbare politische Ereignisse beziehen, ist die Gefahr, zu platt, zu abstrakt, zu wenig distanziert, zu kalauerhaft, zu laut, zu didaktisch oder zu gutmeinend zu sein, Verhängis im Rudel, dem nur die wenigsten politischen Zeitstücke entgehen.
4. Mit Autoren wie Dea Loher setzt sich immer stärker das Erzählen auf der Bühne durch, der Dialog tritt zurück. Welche theatrale Leistungsfähigkeit besitzt die Episierung?
Sie vermiest – wie schon beim alten Brecht – dem Publikum die selige Identifikation mit den Figuren. Die Illusion von Echt ist im Kino sowieso besser aufgehoben.
5. Roland Schimmelpfennig setzt als Regisseur sein eigenes Stück "Der goldene Drache" um. Inwieweit erweisen sich die Regisseure der eingeladenen Uraufführungen als Co-Autoren der Stücke?
Ausnahmsweise mal sehr wenig. Selbst Nicolas Stemann führt ja den ganzen Jelinek-Text auf. Und auch alle anderen Regisseure haben sich eigentlich sehr freundschaftlich an ihre Manuskripte gehalten.
6. Ewald Palmetshofer greift nach "hamlet ist tot" mit "faust hat hunger" zum zweiten Mal auf einen klassischen Stoff zurück. Wie viel literarisches Traditionsbewusstsein braucht es, um sich als moderner Autor durchzusetzen?
Schadet nie, aber muss auch nichts nützen. Jedem seinen eigenen Weg. Umso eigensinniger, umso besser.
7. Nis-Momme Stockmanns Protagonist scheitert an dem Stückauftrag, das ultimative Nach-Wende-Drama zu schreiben. Inwiefern ist es Dirk Laucke mit "Für alle reicht es nicht" gelungen, dieses Drama zu schreiben?
Das war sicher nicht seine Absicht. Ich kenne auch keinen Künstler mehr, der irgend etwas "Ultimatives" schaffen möchte. Lebendig ist nur der Prozess, der Konflikt, die Entwicklung. In diesem Sinne ist Lauckes Stück ein Mosaikstein in einer noch lange nicht abgeschlossenen Nachdeutung dieses Umbruchs.
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